Polizeihochschule Sachsen: Rothenburger Notlösung

Der Chefposten war jahrelang verwaist. Die Besetzung überrascht, denn zwei Top-Bewerber lehnten den Job ab. Ist der Neue die letzte Chance für die Hochschule, deren Standort umstritten ist?

Dirk Benkendorff lächelt viel an diesem Dienstag im Garten der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/Oberlausitz. Der aus dem Umweltministerium kommende 57-Jährige ist am Ziel-der Amtseinführung als neuer Hochschulrektor. Unter ihm werden nun Sachsens Nachwuchskommissare ausgebildet. Über Jahre war der Posten verwaist. Der Chemnitzer Polizeipräsident Carsten Kaempf sprang zweimal als Aushilfe ein. Benkendorff soll jahrelang verschlafene Reformen an der Hochschule vorantreiben, wie bei der Digitalisierung und der Sanierung alter DDR-Gebäude.Zwar hatte der frühere Innenminister Roland Wöller (CDU) 2019 angekündigt, die IT-Infrastruktur, ein „digitaler Campus 4.0 wird sofort in Angriff genommen“. Passiert ist seither so gut wie nichts.

„Da stehen wir noch in den Anfängen“, sagte Benkendorff und mahnte bei seinen neuen Chefs eine „verlässliche, adäquate personelle und finanzielle Ausstattung“ an. Landespolizeichef Jörg Kubiessa und Innenminister Armin Schuster (CDU) dürften unter den gut 50 Gästen vor allem deshalb am meisten aufgeatmet haben, weil mit Benkendorffs Berufung ein unangenehmes Kapitel abgeschlossen ist. „Manche sagen, wir haben zu lange dafür gebraucht“, sagte Schuster.

Mit Benkendorff ist Karin Hollstein, die neue Kanzlerin und Verwaltungschefin, ins Amt gekommen. Die 63-Jährige war zuvor in gleicher Funktion an der Hochschule Zittau/Görlitz, wollte in Rente gehen und übernimmt den Posten für eineinhalb Jahre. Benkendorffs Ernennung ist für Beobachter eine Überraschung. Unter den Bewerbern war er nur auf Platz 3 gelandet, das Innenministerium attestierte ihm fehlende „Erfahrungen im Hochschulmanagement sowie in Forschung und Lehre“.

Benkendorff sagt gegenüber der „Freien Presse“, in seiner mehr als 30-jährigen Karriere im Freistaat habe er fast immer mit der Polizei zu tun gehabt, im Landespolizeipräsidium, als Referatsleiter für Justizvollzug oder für Katastrophenschutz im Innenministerium, als Staatsanwalt und als Richter am Sozialgericht. Als dritte Wahl empfinde er sich nicht, sagt Benkendorff. „Man ist auf mich zugekommen, und das hat mich sehr gefreut.“ Womöglich wollte das Ministerium nicht riskieren, noch ein Jahr ohne Rektor dazustehen. „Dritte Garnitur oder Neuausschreibung wären die Alternativen gewesen“, sagt ein Experte.

Nach dem Prüfungsskandal an der Hochschule 2018 war der damalige Rektor abgelöst worden. Dann kam übergangsweise Carsten Kaempf, eigentlich als Polizeipräsident vorgesehen, der nach zwei Jahren den Rektorenposten wieder abgab. Ein geeigneter Kandidat, der den Posten dauerhaft bekleiden könnte, fand sich unter Ex-Minister Wöller nicht, der am liebsten den pensionierten Ex-Generalstaatsanwalt Hans Strobl zum Rektor und eine Freundin seiner Frau Corinna Franke-Wöller zur Kanzlerin gemacht hätte. Wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft entließ Ministerpräsident Michael Kretschmer seinen Parteifreund im April 2022.

Wöllers Nachfolger Schuster kippte die Entscheidungen seines Vorgängers und ließ die Stellen neu ausschreiben. Schusters Favorit für den Rektorenposten war ursprünglich Marcel Kuhlmey, ein Berliner Professor mit Führungserfahrung und Ex-Polizist. Dessen Amtsantritt zum Jahresanfang stand im November praktisch fest, nur arbeitsrechtliche Fragen müssten noch geklärt werden, hieß es. Auch der Hochschulsenat hatte einstimmig für den Berliner votiert.

Obwohl Kuhlmey nichts unterschrieben hatte, war man sich im Ministerium wohl zu sicher und sagte den Bewerbern auf Platz zwei und drei mit unpersönlichen Zeilen ab. Am Ende konnten sich Kuhlmey und das Innenministerium nicht einigen, weil die Ministerialen offenbar vor allem bei beamtenrechtlichen Details ohne Not stur blieben.

„Die haben gedacht, für diese Stelle macht Kuhlmey alles mit“, heißt es von mit der Personalie Vertrauten. Das Ministerium ignoriere nach wie vor, dass der abgelegene Standort der Hochschule an der polnischen Grenze nicht anziehend genug für Spitzenkräfte sei. Benkendorffs Berufung sei eine Notvariante und mache das einmal mehr deutlich.

Für die Ministerialen wurde es nach Kuhlmeys Absage richtig peinlich. Polizei-Personalchef Oliver Möller und Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa blieb keine andere Wahl, als sich ins Auto zu setzen und in Baden-Württemberg nun persönlich um die abgelehnte Zweitplatzierte zu werben, eine Professorin der dortigen Polizeihochschule. Aber auch sie wollte nun nicht mehr. Und so kam Benkendorff doch noch ins Spiel. Bei seiner ersten Anhörung vor dem Rothenburger Hochschulsenat im Herbst war Benkendorff bei den Professoren und Verwaltungsspitzen noch durchgefallen, jetzt erhielt er zumindest eine Mehrheit.

Unter den sieben Bewerbern für den Rektorensessel waren neben einem Dozenten der Polizeihochschule auch Politpromis-etwa der frühere CDU-Bundestagabgeordnete Patrick Sensburg, der öffentlich vor allem als Chef des Bundeswehr-Reservistenverbandes bekannt ist, oder der frühere Bautzener SPD-Bürgermeister Alexander Ahrens, der nach seiner Wahlniederlage im Sommer 2022 wohl einen neuen Job suchte.

Die Erwartungen an Hochschulchef Benkendorff sind hoch. Er soll die Freiheit von Forschung und Lehre gewährleisten, was das Innenministerium bisher nicht für nötig hielt. Lieber versuchte man die Kontrolle über das Lehrpersonal zu behalten. Dem hochschuleigenen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung hatte das Ministerium noch unter Wöller sogar kurzzeitig hunderttausende Euro und damit die Existenzgrundlage entzogen, um die Forscher zu disziplinieren.

Auch ins Personal soll Benkendorff Ruhe reinbringen, das in der Standortdebatte gespalten ist. Während das Verwaltungspersonal in der Umgebung lebt, pendeln Lehrkräfte und Studierende oft mehr als 100 Kilometer nach Rothenburg. Auch die Polizeigewerkschaften hatten die Verlegung in die Nähe einer Großstadt befürwortet, um ein vielschichtigeres junges Publikum als bisher für die Polizei zu interessieren.

Die Standortdebatte hat Minister Schuster mit einem Machtwort vorerst erstickt. Sie dürfte erneut aufflammen, wenn es wieder kaum geeignete Bewerber für die bald neu zu besetzende Kanzlerstelle gibt.Kommentar

Kommentar: Chance für Polizei-Uni

Es ist kein einfacher Start für ein Chef-Duo, von dem alle wissen, dass der Rektor nicht die erste Wahl war und die Kanzlerin absehbar nur eineinhalb Jahre bleibt. Für die neue Spitze ist die Situation dennoch ebenso eine Chance wie für die Hochschule, aus dem schweren Fahrwasser der letzten Jahre herauszukommen.

Der neue Rektor Dirk Benkendorff hat mit Rückendeckung von Innenminister Armin Schuster (CDU) die Möglichkeit, die Hochschule stärker in Richtung einer freiheitlichen Lehre und Forschung zu bugsieren, als das unter den bisherigen strikten Kontrollmechanismen des Innenministeriums überhaupt möglich war. Das könnte auch einer moderneren Ausbildung angehender Kommissare dienen, die in den nächsten Jahren Sachsens Bürgern gegenübertreten werden.

Der interne Streit um die Hochschulfreiheit ist dennoch längst nicht ausgefochten. Die Polizeispitze will Zu- und Durchgriff, ohne dass jemand dabei reinredet oder sich gar auf die Hinterbeine stellt. Andere Bundesländer machen vor, wie Polizisten höheren Ranges an Hochschulen ausgebildet werden, in denen auch andere Fachrichtungen gelehrt werden, die den Berufshorizont erweitern können.

Blöd ist nur, dass man im Innenministerium sofort wieder auf die Suche nach einer neuen Kanzlerin gehen muss. Bisherige Bewerberinnen und Bewerber erfüllten nicht die Anforderungen für den Posten. Damit hat auch der neue Rektor das alte Problem, dass Rothenburg wegen seiner Randlage unattraktiv ist. Die Debatte um einen Standort nahe einer sächsischen Großstadt dürfte also in nicht allzu ferner Zeit wieder aufflammen.